Wenn man aus Polen nach Leipzig fährt, erwartet man nicht unbedingt, dass sich sehr viel ändert. Bestenfalls würden die Leute eine Sprache sprechen, die einen vage an Deutsch erinnerte. Den Ostblockkitsch und die monumental hässlichen Betonbauten würden die Gleichen bleiben.
Wir fuhren über Berlin nach Leipzig. Ich erhoffte mir den Glamour der Hauptstadt, die so hip ist, dass man hip in ihr wie den bekannten Kindernahrungsmittelhersteller schreibt. Was mich daran erinnert, dass ich überhaupt nicht verstehen kann, wieso erwachsene Menschen viel Geld für kindgerechtes Kompott ausgeben, dass sie als Kompott/Muss sehr viel billiger erwerben können. Vielleicht will man da auch ein Kindschenschema aufrechterhalten, das in meinen Augen extrem unsexy ist.
Stattdessen sah ich nur die Straßenbahn von Berlin. Und den Fernsehturm. Wieso braucht man eigentlich Türme mit einem Restaurant in der Spitze, um Fernsehen auszustrahlen? Wenn wenigstens Fernsehen dort oben GEMACHT würde, aber nicht einmal das ist der Fall.
In Leipzig begrüßte uns eine gigantische Bahnhofshalle, die wohl monumental aussah, aber -für den Osten sehr untypisch – gar nicht m al so hässlich war. Ein Schild verriet: Sie stammte aus der Zeit, als der Sozialismus nur erst in den Köpfen von irgendwelchen Drogenverrückten real existierte. Die Leipziger hatten nach dem Bau des Bahnhofs dem Architekten beide Hände abgehackt, damit er nie wieder eine höhere Bahnhofshalle bauen konnte. Oder ihn mit einem merkwürdigen Knebelvertrag dazu gewzungen. Oder beides, was wahrscheinlicher ist.
Aus der Bahnhofshalle raus war das erste, was ich erblickte, Rohre. Dicke, grellblau gefärbte Rohre, die merkwürdigerweise alle als überirdische Leitungen funktionierten. Angeblich sind es nur temporäre Entwässerungsrohre. Man baut nämlich einen großen Tunnel unter die Stadt, durch den dann Züge fahren können.
Die cyanblaue Farbe der Rohre errinnerte mich an das Kulturjahr 2007 in Luxemburg, wo der cyanblaue Hirsch das Logo war und die Farbe überall präsent war. Düstere Erinnerungen an Waschbenzin anstatt Rum und viel zu wenig Drogen kamen auf. Angst und Schrecken waren auch durch den nicht mehr existierenden eisernen Vorhang nicht aufzuhalten.
In Leipzig war an dem Wochenende die Games Connvention. Die größte Computerspielmesse Europas. Das bedeutete, dass sich Tausende und Abertausende von Freaks, Gamern, Nerds, Geeks, Computerspielejournalisten und andere Verrückte sich auf den Weg nach Leipzig gemacht hatten und dort die Straßenbahnen verstopften.
Ich hatte mir natürlich eine Presseakkreditierung angefragt, damit ich keine Eintrittpreise und Schlangen an den Eingängen über mich ergehen lassen müsste. Es gibt nichts, wofür man Journalisten besser behandeln sollte als andere Menschen, aber es tut einfach verdammt gut, wenn einem die Füße geküsst werden, weil man das richtige Schildchen umhängen hat. Und es gibt oft lustige Sachen umsonst, manchmal sogar zum Essen.
Wir saßen also in der Strassenbahn zur Games Connvention und betrachteten die Freaks, die da reinstiegen und gar nicht mal versuchten, nicht wie Leute auszusehen, die nur einmal im Jahr, nämlich zur Games Connvention, Sonnenlicht sehen.
Ein relativ massiger Junge mit schiefer Brille hatte einen „Guitar Hero“ Sticker über das Muster auf seinem T-Shirt geklebt, was sein Coolness-Level auf -7 sinken ließ.
Je näher wir an die Messe kamen, desto voller wurde die Straßenbahn mit Gamers, die es kaum erwarten konnten, endlich auf die Games Connvention zu kommen. Sie hatten in der Mehrzahl dunkle Tshirts an, meistens mit irgendwelchen Insider-Sprüchen, oftmals aber auch mit den Namen ihrer Clans.
Als wir dann auf dem Messegelände angekommen waren, hatte ich das Gefühl, bei einer Massenevakuierung nach dem SUPER-GAU dabei zu sein. Radioaktive Strahlung gemischt mit Panik und Wegweisern mit riesigen Schaumstoffhänden, die ständig die Richtung schreien und jeden, der aus der Rolle fällt, anbrüllen.
Angst und Schrecken hatten mich. Wofür dieser Menschenandrang? Wohin wollten all diese Freaks? Und wenn schon so viele vor der Tür waren, wie viele sollten dann erst drinnen sein?
Das Pressezentrum war angenehm ruhig. Hier und da saßen ein paar müde Journalisten und tippten ihre Berichte in ihre Laptops, man wurde freundlich bedient und es waren keine Freaks weit und breit. Durch ein Drehkreuz ging es in das sogenannte „Buissiness-Center“. Ein Saal voller Kasten. Totale Stille. Snackbars. Geschäftsgespräche. Ruhe vor dem Sturm. Hier liefen die wirklich wichtigen Geschäfte auf der Games-Convention. Waffenhandel und sowas.
Da sich irgendwie nichts genaueres über die Anwesenheit von Journalisten herausfinden ließ, bewegten wir uns Richtung Messe. Dafür mussten wir kurz über einen Hof laufen, wo berreits eine unmenge von völlig entkräftigten Freaks auf dem Boden lagen. Einige stöhnten leise, weil ihre Haut verätzte. Das ist eine völlig normale Reaktion, wenn man einige Jahre lang kein Sonnenlicht gesehen hat.
Dann war es soweit. Wir betraten die Messe. Unglaublicher Lärm schallte uns entgegen. Eine Unmenge an Freak, Nerds, Geeks und Gamer drückten sich an einen Stand, an dem ein neues Online-Mulitplayler-Fantasy-Spiel vorgestellt wurde. Ich sah einen kleinn pickligen Jungen mit einer Unfrisur und einer schiefer Kassenbrille, dem der Mund offenstand. Von seinen kleinen spitzen Zähne tropfte der Sabber aus seinem Mund.
Angst und Schrecken hatten mich und ließen mich nicht mehr los. Ich war kaum 5 Minuten auf der Messe selbst und hatte das Grausen selbst schon gesehen. Wenn Angst und Schrecken je personifiziert werden sollten, so ungefähr würden sie aussehen. Oder eher harmloser.
Ich drückte mich durch die Menge und versuchte Spielerinnen zu interviewen. Ich musste aufpassen, sie nicht mit den Hostessen zu verwechseln, die oftmals wie Spielfiguren gekleidet waren und versuchten, das verquere Rollenbild der Frau mit ihrer übersexualisierten Anatomie wiederzugeben. Auch einige Besucherinnen waren verkleidet. Als ich „Lara Croft“ fragte, was sie denn spielte, kam ich mir nach der Antwort „Tomb Raider“ relativ dumm vor. Anderseits war ich Journalist, ich durfte selbst die offensichtlichsten Fragen stellen.
An jedem Stand hatten sie irgendeinen Hampelmann gestellt, der wohl als Berufswunsch hatte, bei einem ultra-hippen Radiosender zu arbeiten, aber nicht mal das schaffte und deshalb jetzt auf Messen die Leute einheizen musste und wahllos T-Shirts in die Menge warf. Eins hätte mich fast am Kopf getroffen, wenn nicht einer als Darth Vader verkleideter Nerd in die Luft gesprungen wäre und es aufgefangen hätte. Angst und Schrecken stellten mir bei jedem Schritt ein Bein – und wäre ich gefallen, ich wäre wohl nie wieder aufgestanden.
Die Leute gröhlten bei jedem Bild von einem neuen Spiel – oder auch nur einem Update, das sie zu sehen bekamen. An allen Teststationen bildeten sich unmöglich lange Schlangen, denn alle waren heiß darauf, das Spiel auch nur fünf Sekunden lang anspielen zu können. Menschen, die den Bösewichtern auf den erwähnten Spielen glichen, versuchten die Schlangestehenden einzuschüchtern, damit sie die Schlange verliessen und diese sich in ein regelbares Maß verkleinerte. Eine Ödipusaufgabe. (Das war jetzt ein sehr lustiger Witz. Die Hörer sind angehalten, jetzt zu lachen.)
In einer Halle waren hochfrisierte PCs zu sehen, die mehr leisten konnten als das Rechenzentrum des luxemburgischen Geheimdienstes und eine bessere Auflösung als die Realität hatten. Wer brauchte so etwas? Oder war die Frage etwa wirklich: Wer brauchte ein Leben, wenn er so einen PC hatte?
Angst und Schrecken hatten mich. Dies war der ideale Ort für das Elfenmädchen, das mir einmal an einem hellen Tag in einer Schule über den Weg gelaufen ist und mein Leben für immer verändert hat. (Zum Schlechteren!)
Wieso waren diese Leute alle so freakig? Wieso war es anscheinend soviel hundert mal toller, ein Trailer auf einer Leinwand zu sehen, während man drei Ellenbogen zwischen jede Rippe gepresst bekam, wenn man ihn auch gemütlich am PC ansehen konnte? Was war an diesen Spielen, die sich teilweise sehr gleichten, so super? Das Bild von dem Jungen, der sabberend auf die Spielepräsentation glotze, verfolgte mich.
Das einzige, was jetzt noch half, war die Flucht. Es war mir egal, wohin. Wegen mir hätte es auch nach Halle gehen können…